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Now comes the Night [FF]

Verfasst: So 15. Sep 2013, 12:16
von Remy Hadley
Titel: Now comes the Night
Hauptpersonen: Remy Hadley, Gregory House
Genre: Drama, One-Shot
Shipper: 13/House (Friendship)
Spoiler: keine

Feedback könnt ihr sehr gerne hier hinterlassen.

Als Remy-Fan hätte es mich natürlich sehr interessiert, wie ihre Geschichte weitergeht und war umso saurer, dass die schöne „I’ll kill you“ – Vorlage von House nicht mehr zum Zug kommen konnte. Aber irgendwie hat man ja trotzdem so seine Vorstellungen, wie es hätte sein können. Und genau darum geht es in meinem One-Shot. Was wäre gewesen, wenn House nicht seinen Tod vorgetäuscht hätte?
Der Titel ist abgeleitet von dem Song „Now comes the Night“, denn ich finde, der Text passt ausgezeichnet zu der Situation und den beiden. Könnt ihr gerne mal anhören! Beim Hören dieses Liedes kamen mir auch nach und nach die Ideen zu der FF und so ist auch die für mich etwas ungewöhnliche Erzählperspektive entstanden. Ich stelle mir House gern vor, wie er am Klavier sitzt und das Lied spielt. Aber schaut doch einfach mal rein!


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Obwohl es erst vier Uhr am Nachmittag ist, wird es bereits dunkel draußen. Inzwischen warte ich seit beinahe einer halben Stunde hier draußen auf dem Gang und beobachte Patienten, Ärzte, Krankenschwestern. Sie scheinen alle ihren alltäglichen Gewohnheiten nachzugehen und nicht weiter darüber nachzudenken, weshalb es schon dunkel ist, wie viele Leute unterwegs sind, welches Datum wir haben, ob morgen die Sonne scheinen wird, ob gerade ein Kind zur Welt kommt oder jemand stirbt.

Anders als ich.

Ich kenne die Antworten auf diese Fragen. Es ist Spätherbst, die Sonne geht früh unter. Um genau zu sein, ist es der 25. November. Morgen ist gutes Wetter gemeldet und die Sonne wird sich um den Mittag herum wohl einige Stunden sehen lassen. Ein Kind wird sicher geboren, damit liegt man fast immer richtig und es wird heute noch jemand sterben. Das weiß ich mit einer noch größeren Gewissheit, als dass es eine Geburt gibt.

Doch all diese philosophischen Gedanken über das Leben helfen mir in diesem Moment nicht weiter. Mit jeder Minute, die verstreicht, werde ich unruhiger und es fällt mir schwer, auf der unbequemen Bank sitzen zu bleiben. Vorhin bin ich einige Schritte auf dem Gang auf- und abgelaufen, nur um gleich wieder zu meinem Platz zurückzukehren. Ich will hier sein, wenn…

„Dr. House?“ Ich stehe sofort auf, als die Schwester die Tür öffnet und mich anspricht. „Was hat denn da so lange gedauert?“, gebe ich barsch zurück, erwarte jedoch keine Antwort von ihr. Nicht, dass meine Grobheit eine Ausnahme gewesen wäre, doch im Moment ist sie wirklich unbegründet, dagegen etwas zu tun ist jedoch noch unmöglicher.

Bevor sie etwas sagen kann, schiebe ich sie an der Schulter zur Seite und gehe auf die Zimmertür zu. 107. Ich habe den Raum in den letzten Wochen oft betreten, ich kann schon gar nicht mehr sagen, wie oft. Es ist zur Routine geworden: Das leise Klopfen, das kurze Innehalten und Warten auf Antwort, obwohl ich meist keine erhalte.

Genauso mache ich es auch jetzt. Ich greife nach einigen Sekunden zur Türklinke und drücke sie herunter. Abgestandene, verbrauchte Luft schlägt mir entgegen, als ich die Tür weiter öffne und ins Zimmer trete. Das gleichmäßige Piepen der Geräte klingt mir in den Ohren nach und ich muss noch einmal tief Luft holen, bevor ich um die Ecke treten und Blick auf das einzige Bett im Raum erhaschen kann.

Ich stelle fest, dass sie blass ist; nicht schlimmer als bisher, doch es fällt mir immer wieder von neuem auf, wenn ich länger nicht hier war. Ihr Kopf ist zur Seite geneigt, während ihr die dunklen Haare auf einer Seite übers Gesicht fallen und sich auf der anderen wie ein Fächer über dem Kopfkissen ausbreiten. Ihre Handgelenke stecken in weichen Klettverschlussschlaufen; trotzdem kann ich sehen, dass sie gerötet sind.

Ich stehe noch einige Minuten ruhig an meinem Platz, ohne dass sie mich bemerkt. Als ich schließlich näher komme, dreht sie leicht den Kopf und versucht mich erfolglos mit den Augen zu fixieren. Ich komme ihr entgegen, indem ich auf ihrer Bettkante Platz nehme und so die Entfernung zwischen uns minimiere.

„Ich musste heute lange warten. Was gab es denn?“, frage ich schließlich, als sie zur Begrüßung etwas Ähnliches wie ein Grinsen zu Stande bringt. „Nichts.“ Das einzelne Wort kommt abrupt und abgehackt und ich weiß, dass sie all ihre Kräfte benötigt, um sich so weit zu beherrschen, um weitersprechen zu können. „Schonmal ver… versucht, je… je… jemanden im B… Bett zu waschen… waschen?“ Sie schließt die Augen und ich weiß, dass sie keine Antwort erwartet. Ich weiß sogar, dass sie keine haben will. Und dass sie wütend und traurig zugleich ist.

„Geht es Ihnen heute besser?“ Diese Frage ist gewagt und dessen bin ich mir auch absolut bewusst, doch ich stelle sie trotzdem immer. Täglich. Stündlich. Je nachdem, wann ich hier sein kann. Ich selbst würde die Frage wohl mit Ja beantworten; zumindest hat sie mich heute erkannt. Ich bin nicht sicher, ob ich das darauffolgende Nicken als Antwort auffassen soll, oder ob es nur ein weiteres Anzeichen der Krankheit ist.

Zumindest schießt ihm gleichen Moment ihre linke Hand nach oben und wird nur von dem Stoffband gebremst, das sie am Bett hält. In ihrem Gesicht stehen die Schmerzen geschrieben und ich weiß, dass sie nur mühsam ihre Tränen zurückhalten kann, also greife ich ganz automatisch nach ihren Fingern und massiere sie ein wenig, um ihr Erleichterung zu verschaffen.

„Weiß jemand, d… dass Sie hier… hier sind?“ Wäre ich nicht die einzige Person mit ihr im Zimmer gewesen, hätte ich nicht gewusst, ob sie mit mir spricht, doch so ringe ich mir ein Lächeln ab und beuge mich weiter über sie, um in ihr Blickfeld zu kommen. „Nicht offiziell, aber sie werden es sich denken können. Warum fragen Sie?“ – „Ich will nicht, dass Sie Prob… Probl… Probleme bekommen.“ Sie bringt es kaum auf Flüsterlautstärke und ich habe Mühe, sie zu verstehen, doch ich frage nicht erneut nach. Sie ist müde und das Sprechen strengt zu sehr an, also nicke ich einfach und streichle ihr beruhigend über den Arm.

Eine Zeit lang sitze ich nur so da und ich denke schon, dass sie eingeschlafen ist, als sich ihre Finger, die immer noch an meinen liegen, krampfartig um meine Hand schließen. Automatisch blicke ich auf und treffe direkt auf ihre grünen Augen, die ihren Glanz schon lange verloren haben. „Sie m… müssen es nicht t… tun“, kommt es leise von ihr und ich schüttle schon den Kopf, bevor sie den Satz beendet hat. „Ich weiß. Aber ich habe es Ihnen versprochen. Und ich stehe zu meinem Wort, wenn ich auch sonst nicht gerade bekannt bin für meine Großzügigkeit… Es sei denn, Sie haben es sich anders überlegt?!“

Man könnte es jetzt falsch verstehen: Dass ich Panik bekomme, ich es nicht machen will, ich mir wünsche, dass sie sich um entscheidet. Aber so ist es nicht. Es ist nur so, dass die Tatsache, dass immer noch ich derjenige bin, der hier ist und ihr hilft, bedeutet, dass sie allein geblieben ist. Ich hatte gehofft, sie würde jemand Besseren als mich finden, der zumindest ihre seelischen Schmerzen teilen kann. Doch hier liegt sie vor mir, blass, abgemagert und mit Kabeln und Schläuchen verdrahtet und es ist an mir, ihr dabei zu helfen, wenigstens etwas von ihrer Würde zu bewahren.

Ihr vorwurfsvoller Blick scheint seit Langem wieder einmal genau dem zu entsprechen, wie sie ihn haben will. „Glauben Sie, ich hä…tte irgendeine Wahl? Wenn, dann wür… würde ich S… Sie sicher n…n… nicht mit da reinzieh… reinziehen.“ Es sieht schmerzhaft aus, wie sie versucht zu schlucken und prompt in einen Hustenanfall ausbricht. Vorsichtig schiebe ich ihr meinen Arm unter den Köper und stütze ihren Kopf mit der Hand, als ich sie leicht aufrichte, um ihr zu helfen.

Bevor ich sie wieder hinlege, setze ich ihr den Schnabelbecher vom Nachttisch an die Lippen, aus dem sie mühevoll einen Schluck trinkt. „Danke.“ Ihre Augen schließen sich, ohne dass sie etwas dagegen tun kann und ich werde schmerzlich daran erinnert, dass die Zeit viel zu schnell vergeht, es inzwischen vollkommen dunkel draußen ist und es nicht mehr lange bis zum Schichtwechsel dauert. Mir wird bewusst, dass ich sie nicht loslassen will, noch nicht. Es ist zu früh.

Obwohl es am Anfang nur ein schlichter Deal war, nicht mehr und nicht weniger, ist sie mir eine Freundin geworden. Viel können wir selbstverständlich nicht unternehmen, aber gerade das ist der Grund. Wir haben uns unterhalten, jeden Tag wenn ich hier war, stundenlang und über alles Mögliche. Wir kennen gegenseitig unsere Stärken und Schwächen und das wollte ich vermeiden. Damit ich nicht in die Situation komme, in der ich jetzt bin. Schwach sein liegt mir nicht.
Idiot.
Mehr kann ich dazu nicht sagen.

„Wir machen es so, wie wir es abgesprochen haben“, erkläre ich nun, jedoch eher, um mich selbst zu beruhigen und zu ermutigen. Ich weiß, dass es ihr schon lange egal geworden ist, Hauptsache es passiert bald. „Und wenn… was ist?“, fragt sie mich mit wieder offenen Augen und ich blinzle verwirrt, gehe noch einmal die Worte durch, die ich gebraucht hatte. Trotzdem erschließt sich mir der Sinn ihrer Frage nicht.

„Was soll denn sein? Es geht schon alles gut. Sie müssen sich um nichts kümmern, ich bin dran.“ Ihre größte Angst ist es, dass wir beim Versuch erwischt werden und sie mich dann nicht mehr zu ihr lassen. Irgendwie würde es mir sicher trotzdem gelingen, aber wir wollen es nicht unnötig verkomplizieren, wo auch jetzt schon regelmäßig Schwestern und Pfleger nach ihr sehen und sie alle halbe Stunde umlagern.
Wenn sie wissen, dass ich hier bin, kommen sie seltener; das ist unser einziger Trumpf.

„Du g… gehst doch weg. Wenn… wenn… wenn sie stürzt? Ich k… kann nicht…“ Sie atmet angestrengt aus und unterbricht ihren Satz und mir wird klar, dass sie nicht mehr da ist. Die Demenzanfälle kommen und gehen und ich kann nur hoffen, dass es diesmal nicht so lange dauert. Wenn sie nicht bei sich ist, kann ich es nicht tun, ich kann einfach nicht.

„Es wird schon nichts passieren“, gehe ich auf sie ein und bemerke, wie ihr Gesicht sofort etwas entspannt, auch wenn es weiter von Muskelkontraktionen beherrscht wird, ebenso wie ihre übrigen Gliedmaßen. „Ich beeile mich einfach.“ Sie nickte konzentriert, bevor es ihren Kopf blitzartig zur Seite reißt und sie gegen den Nachttisch knallt, der viel zu nah am Bett steht.

Ich habe aufgehört, den Schwestern zu sagen, dass sie sowieso nicht ohne Hilfe danach greifen kann und sie ihn weiter wegschieben sollen. So mache ich es nun selbst und streiche ihr anschließend vorsichtig über den Kopf, der nun wieder ruhig auf dem weichen Kissen liegt. „Dad?“ Ich hebe den Kopf und sehe ihr in die Augen, warte, was sie mir zu sagen hat, oder mich fragen wird, auf alles gefasst. „M… mein Rücken, wieso… Wieso tut er so… so w… weh?“

Sie will ihre Hand unter ihr Gesäß schieben und bekommt noch mehr Panik, als die Fessel sie davon abhält. Sanft umschließe ich ihre Hände mit meinen und atme möglichst tief und auffällig, bis sie sich meinem Rhythmus anpasst. „Du bist krank und musst ein paar Tage im Bett bleiben. Das kommt von dem vielen Liegen“, erkläre ich schlicht und lege mich nach einigen Augenblicken neben sie. Die Schwestern sehen das nicht gern, aber es ist mir egal.
Vollkommen.

Als ich mich drehe, gibt eins der Geräte einen durchdringenden Alarmton von sich und ich blicke an ihr hinunter, wobei mir das Pulsoxy auffällt, das ich wohl abgerissen habe. Schnell bringe ich es wieder an, bevor eine ganze Rettungsmannschaft im Zimmer auftauchen kann. „Sie hätten Ihr Ge… Gesicht sehen soll… sollen.“

Immer noch etwas erschrocken sehe ich sie an und auch wenn sie nicht lächelt, sondern die Augen zusammenkneift, weiß ich, dass sie geistig wieder da ist und es als Witz gemeint hat. „Hatten S… Sie Angst, ich würde ohne Ihr Zutun einfach Ab… Abtreten?“ Mein Kopfschütteln kommt eine Spur zu schnell, um glaubwürdig zu sein, doch sie erwidert nichts. Ihrem Blick nach zu urteilen, hätte sie die Geschichte gern noch etwas weitergesponnen, doch es fehlt ihr an Kraft dazu.

„Kann ich Ihnen noch irgendwas bringen? Was leckeres zu Essen vielleicht?“, versuche ich mein Glück und will damit, wenn ich ganz ehrlich bin, noch etwas Zeit gewinnen. „Ist das… das jetzt m… mein letzter W… Wu… Wunsch?“, fragt sie mich prompt und ich kann nicht anders, als leicht zu grinsen. Es ist schön zu wissen, dass sie irgendwo in diesem von Krankheit zerfressenen Körper noch zu finden ist.
Obwohl es gleichzeitig niederschmetternd ist.
Gefangen sein im eigenen Körper, der auch noch die letzte verbliebene mentale Kraft entzieht.

„Wenn Sie es so sehen wollen, bitte. Aber ich wollte Ihnen nur etwas Gutes tun.“ Ich ziehe den Schokoriegel mit Erdbeerstückchen aus meiner Jackett-Tasche. Den, hat sie immer wieder betont, bin ich ihr noch schuldig. „Nicht Ihr Ernst“, meint sie trocken, als sie nach einiger Zeit erkennt, worum es sich handelt.

„Ist jetzt die Sorte wieder falsch, oder was?“, gebe ich gespielt genervt zurück und ziehe die Plastikfolie ab. „Nein… perfekt.“ Ich tue so, als ob ich in das angrenzende Bad ginge, um einen feuchten Waschlappen zu holen, doch in Wirklichkeit darf sie mein Gesicht jetzt nicht sehen. Die Dankbarkeit in diesen beiden Worten übermannt mich und ich muss mich zusammenreißen, jetzt nicht zu weinen. Früher wäre das sowieso vollkommen undenkbar gewesen, aber wie ich schon sagte: Es hat sich viel verändert und wir zehren von dem, was wir haben.

Ich komme so bald wie möglich zu ihr zurück; sie bemerkt nicht, dass es unverhältnismäßig lang gedauert hat, da ihr Zeitempfinden ohnehin gestört ist. „Ich will nicht die Schokoladenspuren im Bett erklären müssen“, sage ich grinsend und halte ihr den Lappen hin, sodass sie ihn sehen kann. Sie entgegnet gar nichts, sondern starrt auf irgendeine Stelle neben mir. Das macht sie oft und ich weiß, dass es keine Absicht ist, sondern sie nicht anders kann.

Langsam fahre ich das Kopfteil ihres Bettes etwas nach oben, damit sie sich nicht noch mehr verschluckt und stütze ihren Kopf mit meinem Arm. Ich weiß nicht, ob es funktionieren wird, sie hat seit Monaten nichts anderes als Brei gegessen und kann auch flüssige Nahrung kaum noch schlucken. Trotzdem will ich es versuchen, ich habe ihr diesen verdammten Schokoriegel versprochen. Allerdings saß sie zu diesem Zeitpunkt noch im Rollstuhl und wir haben Mau-Mau gespielt.

„Ich hoffe, das ist nicht… nicht Ihr b… bestes Oberhemd?!“ Sie spielt auf eine mögliche Aspiration an, wie immer. Ich schüttle lächelnd den Kopf und führe vorsichtig die Süßigkeit zu ihrem Mund. Sie nimmt einen kleinen Biss und behält ihn im Mund. Als sie die Augen schließt weiß ich, dass sie den Geschmack der flüssig werdenden Schokolade auf ihrer Zunge genießt. Ich wage nicht, sie jetzt anzusprechen, mich zu bewegen oder ein Geräusch zu verursachen. Erst als sie die Augen wieder öffnet und konzentriert schluckt, rutsche ich auf dem Bett etwas näher zu ihr und streiche ihr kurz über den Arm.

Es dauert sehr lange, doch am Schluss hat sie zumindest den halben Schokoriegel gegessen und fällt erschöpft wieder nach hinten. „Sie haben Ihre Schuld be… beglichen. Wie sp… spät i… i… ist es?“ Sie lässt den Blick in die ungefähre Richtung meines Handgelenks wandern, aber ich bin schneller und schaue auf meine Armbanduhr. „Kurz vor Neun“, antworte ich leise und kann sie nicht ansehen.

Ich weiß nicht wie, aber irgendwie schafft sie es, nach meiner Hand zu greifen und sie zitternd zu drücken. „Es wird Nacht. E… Es wird Zeit.“ Sie hat Recht, doch ich schüttle den Kopf. Sie kann noch eine Weile so leben, sie hat noch Zeit. „Sie we… werden doch jetzt nicht senti… sentimental?!“ Es ist lieb gemeint, sie will mich aufmuntern, doch es hilft nicht. „Was, wenn es in einer Woche ein Medikament gibt?“

Bisher ist es mir nicht aufgefallen, doch jetzt, wo ich ihr ruhiges Lächeln sehe, bemerke ich, dass ihr ganzer Körper entspannter geworden ist. Sie lässt schon los. „Es wird keins geben. Und selbst wenn… für mich… mich ist es z… zu spät.“ Ich will mir nicht eingestehen, dass sie Recht hat, aber meine innere Stimme sagt mir, dass es so ist.

Als ich ihrem Blick wieder begegne, lächelte sie noch immer und nickt leicht. Ob sie ihre Worte damit unterstreichen will, ob sie in meinem Gesicht erkannt hat, dass ich die richtigen Schlüsse gezogen habe… Ich werde es nie erfahren.

„Ich frage Sie nicht nochmal, ob Sie sich wirklich ganz sicher sind“, sage ich leise und ziehe die beiden Spritzen aus der Innentasche meines Jacketts. Sie wiegen schwer in meiner Hand und ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde, den Kolben runterzudrücken, wenn es soweit ist.

„Bitte erkl… ären Sie mir auch n… nicht, was das ist und wa… was sie schrittwe… schrittweise tun. Ich bin im Bilde“, meint sie trocken und zieht an den Handfesseln herum, aber ihre Finger sind zu unkoordiniert und schwach, also helfe ich ihr und nehme sie ab. Sie soll nicht wie eine Gefangene sterben.

Ich fixiere zwar die Spritze, als ich sie aufziehe, doch aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass sie mich die ganze Zeit mustert. „Ich dachte nicht, dass wir… in diese Situation kommen würden“, gibt sie zu, was mich stutzig macht. „Warum nicht?“ Sie zuckt leicht die Schultern und lässt ihren Kopf zur Seite fallen, absichtlich oder nicht ist schwer zu sagen. „Es war e… ein überstürztes Ver… Versprechen. Sie haben es geg… eben, als ich Ih… Ihnen die Ohren vollgeja… mmert habe. Und trotzdem sind… sind Sie hier.“

Auch wenn es nicht als Frage formuliert ist, höre ich ein Fragezeichen am Ende ihres letzten Satzes und fühle mich genötigt, ihr eine Antwort zu geben. „Wie schon gesagt, ich stehe zu meinen Versprechen. Außerdem… mein bester Freund ist gestorben und dann kommen Sie. Mit Ihrer Heiße-Braut-Figur und Ihren unwiderstehlichen Augen. Und auf einmal… finde ich mich in dem gleichen Szenario wieder. Nur dass ich diesmal maßgeblich am Ableben eines Freundes beteiligt bin.“ Als ich das Wort ‚Freund‘ ausspreche, lächelt sie wieder. Ich weiß, warum: Freunde sind bei ihr ein genauso heikles Thema, wie bei mir. Wir sind nicht für sowas gemacht. Vielleicht haben wir uns auch genau deshalb gesucht und gefunden.

Ohne dass wir es bemerkt hätten, ist eine weitere halbe Stunde vergangen und mir wird klar, dass es jetzt sein muss. „Sie sind eine gute Freundin. Ihr Leben war nicht sinnlos, Sie haben anderen Menschen geholfen.“ – „Eine Ansprache?“ Ein Grinsen mischt sich in ihren Tonfall, doch ich fahre unbeirrt fort. „Das müssen Sie jetzt aushalten. Es wird nicht lang, versprochen.“
Das sollte es auch nicht.
Ihr fallen immer wieder die Augen zu und wenn sie einmal schläft, dann schläft sie.

„Sie glauben, Sie hätten mehr für Ihre Mutter und Ihren Bruder da sein müssen. Und dass Sie bindungsunfähig waren und alle vor den Kopf gestoßen haben. Aber das ist nicht wahr. Sie wollten immer nur alle vor Ihnen beschützen. Das ist nicht zu wenig, es ist verdammt viel. Versprechen Sie mir, dass Sie das nie vergessen und nie an sich zweifeln!“ Ihre Hand hat sich auf mein Bein gelegt, während ich gesprochen habe, ihr Gesicht ist nun ernster.
„House…“ – „Versprechen Sie es.“ Wer weiß, wo wir nach unserem Tod hinkommen. Sie soll es gut haben und sich nicht noch in der Ewigkeit weiter Vorwürfe machen. „Ich ver… verspreche es“, flüstert sie nach einigen Sekunden, die unendlich erscheinen.
„Danke.“

Ich halte noch immer die vorbereiteten Spritzen mit den Schmerzmitteln in der Hand und hebe nun die erste langsam an. Sie zittert zwischen meinen Fingern und ich konzentriere mich auf meine Atmung. Ein Blick zur Tür verrät mir zwar nicht, ob nicht jeden Moment jemand hereinkommen wird, doch ich handle aus Reflex.

„Sind Sie bereit?“, frage ich zum gefühlten hundertsten Mal und spüre einen Moment später ihre Hand an meiner. „Ich bin schon… schon eine la… lange Zeit bereit“, gibt sie zurück und spricht dabei nicht von den vergangenen Stunden, sondern vielmehr den letzten Monaten.

Ohne jetzt noch länger über alles nachzudenken, setze ich ihr beide Spritzen über die Flexüle in ihrem Arm. Anschließend lagere ich sie noch einmal um und schiebe ihr ein weiteres Kissen unter Kopf und Oberkörper, damit sie bequem liegt.

„Sie sollten… jetzt gehen“, kommt es leise von ihr und ich nehme prompt wieder auf dem Bett Platz und schiebe meine Hand in ihre. Ich weiß, sie meint es nur gut und will nicht, dass es für mich genauso endet, wie für sie, nachdem sie ihrem Bruder geholfen hat, aber ich weiß auf mich aufzupassen und lasse sie nicht allein sterben.

„Halten Sie die Klappe und vergessen Sie einfach, wo wir sind.“ Diese Aussage entlockt ihr ein Grinsen. „Im Vergessen bin… bin ich g… gut.“ Wie so oft gebraucht sie die gemeinste Art von Sarkasmus, die man sich vorstellen kann und die eigentlich mein Spezialgebiet ist. Wie sie das auch jetzt noch schafft, weiß ich nicht, doch andererseits kann Sterben nicht schlimmer sein als ihr momentanes Leben.

In den nachfolgenden Minuten wird sie sichtlich schwächer und driftet langsam in Richtung Bewusstlosigkeit ab. Sie holt nur noch schwer Luft; ich hätte lieber ein starkes Schlafmittel nehmen sollen. „Glauben Sie… an… einen… Himmel?“, fragt sie mich keuchend und umklammert meine Hand vollkommen kraftlos. Ihre Augenlider sind geschlossen und flattern leicht, als sie versucht, sie zu öffnen, es jedoch nicht schafft.

„Möglicherweise. Tun Sie das denn?“ Meine Worte sollten tröstend sein, aber bei diesem Thema weiß ich nichts zu antworten. „Ich denke… ich… ich weiß nicht. M… mein Vater hat… es immer… immer getan.“ – „Ich bin mir sicher, er hat Recht“, unterbreche ich sie, um sie zu beruhigen und ihr weitere Erklärungen zu ersparen.

„Ruhen Sie sich jetzt aus.“ Sie liegt vollkommen still vor mir. Man sollte meinen, es wäre ein Gerücht, dass die unkontrollierten Bewegungen aufhören, wenn es zu Ende geht, doch es stimmt. Und ich bin froh darüber, dass ihr wenigstens diese Ruhe vergönnt ist. „House?“ – „Dreizehn?“ – „Es war die… die schön… ste Zeit… D… Die Arbeit b… bei Ih… Ihnen.“ Ihr Kopf rutscht zur Seite, ich kann dabei zusehen, wie Puls und Atmung sich verlangsamen und presse die Lippen zusammen, als der Monitor nichts mehr anzeigt.

Mir bleiben nur ein paar Sekunden, um zu verschwinden; trotzdem nehme ich mir die Zeit und streiche ihr noch einmal das Haar aus der Stirn zurück, um ihre gleichmäßigen Züge zu mustern. „Das fand ich auch“, sage ich leise, lasse langsam ihre Hand los und biege draußen in die Richtung ab, aus der keine Ärzte und Schwestern gestürmt kommen.

Ich weiß, dass sie vergeblich versuchen werden, sie zurückzuholen und stelle mir vor, wie ihre Mutter sie mit ausgebreiteten Armen in Empfang nimmt. Die Vorstellung ist schön und zaubert mir in Lächeln ins Gesicht, als ich auf den sternenbeschienenen Parkplatz hinaustrete.